Foto: Miguel Hahn

Ich kann dir nicht folgen! Mit einer Mischung aus Bestürzung und Verwunderung streifen die Blicke durch die mit Buntstift und Ölfarbe geschaffenen Innenräume von „I can’t follow you“ (2023), der Künstlerin MAREN SCHIMMER. So magisch und geheimnisvoll sie anmuten, so orientierungslos lassen sie uns zurück. Hier ist es die Architektur aus Mauern und Wänden — eine Decke lässt sich nicht klar ausmachen, die von einer gewohnten Konstruktion abweicht und die mit mehrfachen Perspektiven zudem Verwirrung stiftet. Auch den Fenstern, klassischen Verbindungselementen zwischen Innen und Außen, ist nicht zu trauen. Werden uns die Formen, die durch das Glas sichtbar sind, tatsächlich aus dem Außenraum vermittelt? „Das Glas bietet zwar die Möglichkeit der rascheren Kommunikation zwischen Innen und Außen, aber zugleich zieht es eine unsichtbare Wand auf, die verhindert, dass diese Verbindung eine wirkliche Öffnung zur Welt wird.“ (Jean Baudrillard, Das System der Dinge. Über unser Verhältnis zu den alltäglichen Gegenständen. Frankfurt/New York. 2007, S.56) Eine Zwischenwand mit Durchgang hört auf halber Höhe einfach auf. Davor durchschneidet eine Art Bodenschwelle den Raum. Abgesehen von hellen Fenster-Ausschnitten und Lichtreflexen am Boden wird der Raum durch gedeckte Farben und Dämmerungsstimmung definiert. Zusammengesetzt ist alles aus ornamentalen Dreiecken und quadratischen Kacheln, die eng an eng aneinandergereiht, den Raum determinieren, ihn gleichzeitig aber auch in die fragile Abstraktion treiben. Was nicht mehr sichtbar ist, ist ein zugrundeliegendes Raster, aus dem, im Verlauf des Malprozesses, die Ornamente herauswachsen. Im Vordergrund des Bildes scheint sich der Boden aufzulösen:
Unter den Mustern schimmern weitere Ebenen durch. Es ist dem gekonnten Spiel mit Struktur und Chaos zu verdanken, dass Momente des Unheimlichen und des Rätselhaften überhaupt zutage treten und den/die Betrachter*in in den Bann ziehen können. In ihrer Eindeutigkeit wird die Ordnung der ornamentalen Zeichen an vielen Stellen mit ästhetischen Mitteln hinterfragt und somit ad absurdum geführt.
In „Tanzaufruf im Archiv“ (2022) begegnet uns die Aufsplitterung des Raums wieder, diesmal jedoch haben sich die Symbole zu größeren Clustern zusammengeballt, die nun, von der Architektur emanzipiert, im Raum zu schweben scheinen. In dieser Kumulation beginnt sich die formale Stringenz aufzubrechen, indem Muster in der Farbigkeit plötzlich abweichen oder gespiegelte Figuren sich aus der Zwillingshaftigkeit lösen. Maren Schimmer hat also Störungen eingebaut, die ihre Bildwelten als ambivalent wahrnehmen lassen— als ordentliches Chaos oder heimelige Unheimlichkeit. Das fluide Changieren aus sich auflösenden Bildelementen erinnert an Traumbilder, welche Schimmers Arbeiten zugrunde liegen und die sich während des Schlafes, aber auch in der Rückbesinnung immer wieder neu und anders zusammensetzten und durch ihr „Flirren“ einen unscharfen Eindruck hinterlassen.

„Der von der Einbildungskraft erfasste Raum kann nicht der indifferente Raum bleiben, der den Messungen und Überlegungen des
Geometers unterworfen ist. Er wird erlebt. Und er wird nicht nurin seinem realen Dasein erlebt, sondern mit allen Parteinahmen der Einbildungskraft.“ (Bachelard, Gaston (1960): Poetik des Raumes. München, S.30)

Das Zimmer, der Innenraum in dem wir leben, ist der Ausgangspunkt von dem sich uns die Welt erschließt. Von dort gehen wir hinaus und dort kehren wir immer wieder hin zurück. Der Innenraum ist ein Gefäß, welches uns umschließt. Im abgesonderten Fürsichsein fühlt man sich sicher und geborgen. Dort grenzt man sich von der Außenwelt ab, man bewahrt privates und geheimes auf und geht Dingen nach, die nicht für die Öffentlichkeit gedacht sind. In die Räume, in denen wir täglich leben, sind unsere Erinnerungen, Erlebnisse, Gedachtes und Gefühltes eingewoben. So haben die Orte im Leben eines Menschen einen ganz bestimmten Eigencharakter. Hier ist der Mensch als geistiges Wesen verwurzelt.
Doch existieren solche Räume nicht nur in der materiellen Welt. Das Räumliche bietet auch die Grundlage zum Verständnis der geistigen Welt. Das menschliche Denken funktioniert zu großen Teilen in räumlicher Manier. Der Mensch denkt aus unterschiedlichen Perspektiven, Gedanken sind Konstrukte, bauen aufeinander auf und können ganze Welten bilden. In Träumen spielen Räume ebenfalls eine große Rolle. Hier dienen sie als Verbildlichungen von Gefühlen, Themenkomplexen oder Lebenszeiten. Beschäftigt sich unser Unterbewusstsein wieder mit einem bestimmten Thema, so besuchen wir in unseren Träumen oftmals wieder dieselben Räume, beispielsweise aus Kindheitstagen, welche sich von Zeit zu Zeit auf geheimnisvolle Weise zu verändern mögen.

Maren Schimmers hauptsächliches Sujet sind ebensolche transzendentale Innenräume.
Mit Ihrer Malerei mit Zeichenmaterial erschafft sie zeitlos wirkende Räume, als würden sie in einer anderen Sphäre existieren.

Es gibt für Schimmer keine konkrete Vorstellung eines fertigen Bildes. Dieses wächst während des Malprozesses organisch. Es verhält sich wie beim Nachdenken, wenn ein Einfall zum nächsten führt oder manchmal nur um einen Gegenstand kreist. Aber auch wie in einem Traum, bei dem man sich in einem nächsten Moment in einer ganz anderen Situation wieder finden kann.

Zu Beginn wird der Maluntergrund, meist Holz oder Malpappe, mit einer Grundstruktur von farbigen Flächen grundiert. Dann trägt sie mit Buntstift, Aquarellfarbe und Deckweiß eine Farbschicht auf die andere auf, sodass ein komplexes Gewebe von Flächen und Formen entsteht. Das Bemalen großer Flächen auf hartem Untergrund mit Buntstift, anhand akribischer Hin- und Herbewegungen, gleich eines Weberschiffchens, geschieht mit einer großen körperlichen Anstrengung. Bevor sich die abstrakten Räume durch die Hand der Künstlerin verbildlichen, manifestieren sie sich zunächst in der Anspannung ihres Körpers.

Wo Schimmer in ihrem früheren Schaffen noch mit fotografierten Räumen als Vorlage arbeitete, sind es jetzt nur noch Fragmente von Räumen oder einzelne geometrische und alltägliche Formen, welche als Ausgangspunkt dienen. Die geometrischen Formen und bunten Ornamente dienen als Anker, als Horizont an welchem man sich festhalten und austarieren kann, sodass man nicht nicht den Halt verliert, einem so der „Schwindel der Freiheit“[1]überkommt und man in die Tiefe fällt. Sie sind eine die Fläche gliedernde Geste. Man meint zunächst von ihnen aus, den Raum geometrisch begreifen zu können, jedoch lösen sich die Formen teils auch in andere Flächen und Ebenen, in Dunkel oder Licht auf. Das Ornament, in wessen Wiederholung man Sicherheit sucht, verändert sich aber in seinem Fortlauf. Es sind sich bewegende, lebendige Flächen, in den Raum gewoben. Nach einem kurzen Moment der Orientierung, gerät man doch wieder ins Schwindeln.

(1)Sören Kirkegaard (1844), In: Der Begriff der Angst, Philosophische Schriften 2, Zweitausendundeins, Frankfurt am Main, 2009, S. 218

Schimmers Malerei ist geprägt von vielen dunklen Flächen.
Im Kontrast hierzu strahlen die hellen Momente und Farben noch stärker, sodass sie in den Vordergrund rücken können.

Das Licht bricht und reflektiert sich, teils durchdringt es die unterschiedlichen Flächen. In manchen Arbeiten scheint es durch Fenster einzufallen, in anderen sind es farbige Ornamente welche wie von innen heraus strahlen. Jedoch übermalt Schimmer auch Teile dieser lichten Momente, lässt sie im Dunkel verschwinden und an anderen Stellen wieder auftauchen. Diese Dunkelheit suggeriert eine unbestimmte Tiefe, eine Ruhe, fast Geborgenheit. Aber ist sie es eben auch, die einem Unbehagen bereiten kann. Dort lauert das Unbekannte, das was man nicht sehen kann, das Fremde oder das eigene Innerliche, welches man vor sich selbst verbirgt. Dort verstecken sich die Bedeutungen und Erinnerungen, die wir oftmals mit Räumen in Verbindung bringen, welche man aber meist nur dunkel gefühlsmäßig empfindet und sie selten zu klarem Bewusstsein erhebt. Diesen versteckten Eigenschaften spürt die Künstlerin nach.

Die poetischen Titel, welche Schimmer ihren Arbeiten gibt, fungieren als eine eigene Ebene. Sie sind keine Beschreibung des Abgebildeten, sondern vielmehr eine Fortsetzung des Bildes. Diese entstehen in einem sich verselbständigenden assoziativen Spiel, in welchem die Künstlerin versucht, intuitiv aus Satzfragmenten, Worten und äußeren Einflüssen den passenden Titel zu finden.

Maren Schimmer ist am 27.04.1983 in Henstedt-Ulzburg geboren. Sie lebt und arbeitet in Hamburg. Nach einem Studium der Kunstpädagogik studierte sie freie Kunst an der HfbK Hamburg, wo sie 2012 ihr Diplom bei Werner Büttner und Hanne Loreck machte. Daraufhin folgte ein Master of Arts im Studiengang Design / Illustration an der HAW, Hamburg. 2011 erhielt sie eine Nominierung für den Hiscox Kunstpreis, sowie 2013 eine Förderung von Jung von Matt im Zusammenhang mit dem Projekt Add Art: Hamburger Unternehmen zeigen und fördern Kunst und in 2007/2008  die Projektförderung durch den Freundeskreis der HfbK Hamburg: Projekt K25a. 2013 hatte Schimmer ein Aufenthaltsstipendium des Künstlerhauses im Schlossgarten Cuxhaven und von 2018-2019 das  Klaus Kröger Atelierstipendiums im Künstlerhaus Sootbörn.

Mein Name ist Maren Schimmer, ich bin Künstlerin, lebe und arbeite in Hamburg, Deutschland. In meiner Kunst arbeite ich mit Malerei und Zeichnung. Gegenstand meiner Arbeiten sind hauptsächlich transzendente Innenräume. Ich arbeite entweder mit Bleistift auf Papier oder mit Ölfarbe und Buntstift auf Malerei Brett oder Holz. Beim Umgang mit dem Bleistift dreht sich alles um Bewegung: Das Ineinandergreifen einzelner Striche bilden eine Oberfläche, Kondensation der Farbpigmente durch festes Andrücken mit der Bleistift auf dem Malgrund. Diese Fläche kombiniere ich mit der Ölfarbe und verlege sich darüber und darunter. Derzeit arbeite ich an Ornamentik als Oberfläche. Dazu erstelle ich eine Werkserien auf Papier mit Buntstift und Aquarell, aber auch mit Bleistift auf Papier. Das Bild wird zur ornamentalen Oberfläche und zur Simulation eines Teppichs, der eben ist entstanden auf Papier durch Zusammenweben einzelner Bleistiftglasuren. Der Teppich hier ist ein Verweis auf einen Raum, ein Element, das ich in eine Ausstellung einbringe Raum vom Innenraum losgelöst oder vor der Wand schweben lassen. In meinen Bleistiftzeichnungen arbeite ich seriell an einem Ort oder einer Reise, auf der ich begegnet bin bestimmte Stimmungen und Zustände. Die Idee zu meiner letzten Serie „Nachtschattengewächs in Tamari“ („Nachtschatten in Tamari“), entstand auf einer Reise nach Japan.

Die Titel meiner Arbeiten entstehen meist am Ende des Prozesses. Dafür stehe Ich im Dialog
mit dem Bild und sammle Wörter und Sätze oder greife auf Vereine. Dies kann durch Geschichten, Prosa oder Alltagssituationen ausgelöst werden.

Dies kann durch Geschichten, Prosa oder Alltagssituationen ausgelöst werden.